Gelassenheit

Image

SELBSTMANANAGEMENT

Gelassenheit - die Kunst der inneren Ruhe!

Mai 2021

Die meisten Menschen kennen den Spruch des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr: „Ich wünsche mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Wir alle ahnen, dass in diesem Satz eine tiefe Wahrheit steckt, dass uns eine gelingende Unterscheidungsgabe das Leben deutlich erleichtern würde.

Image

STICHWORTE

Gelassenheit
Loslassen
Annehmen

Gelassenheit in der Pandemie

Die seit über einem Jahr lebensbestimmende Corona Pandemie ist dafür eine gutes Anschauungsbeispiel. Diese Zumutung schränkt unsere Lebensmöglichkeiten ein, überflutet unsere Kommunikation und bringt starke Emotionen hervor. Je länger die Einschränkungen dauern, desto genervter reagieren viele von uns. Wir sehnen uns nach der Unbeschwertheit früherer Tage zurück und wollen dieses Virus aus unserem Leben bannen. Eine echte Herausforderung, uns in einem gelassenen Umgang zu üben.

Wenden wir die Erkenntnis von Reinhold Niebuhr auf die Pandemie an, sehen wir sofort diese doppelte Herausforderung. Zum einen können wir das Virus, wie so vieles im Leben, nicht aus eigener Kraft ändern, es unterliegt einer Eigengesetzlichkeit. Das gilt es anzunehmen und auszuhalten. Zugleich sind wir aber nicht zur Teilnahmslosigkeit „verurteilt“, sondern können – im Rahmen unserer Möglichkeiten – gestaltend mit der Situation umgehen. Stichworte: konsequente Anwendung der AHA-Regeln, Kontaktreduzierung.

Ein gelassener Umgang setzt also voraus, dass wir die Faktizität anerkennen und zugleich unsere Handlungsmöglichkeiten ausloten. Unsere Kraft darauf richten, was in unserer Macht steht und uns mit Unabänderlichkeiten abfinden – sie loslassen.

Gelassenheit - was verstehen wir darunter?

Der Begriff stammt wohl vom mittelhochdeutschen „gelāʒenheit“ ab, was soviel wie „Gottergebenheit“ bedeutete. Heute verbinden wir mit Gelassenheit eine maßvolle Haltung, innere Ruhe oder seelisches Gleichgewicht. Gelassene Menschen bleiben auch in besonders heiklen Situationen ruhig, besonnen und unvoreingenommen, bewahren die Fassung. Damit können sie auch in stressigen, belastenden Situationen intentional handeln, statt in unwillkürliche Reiz-Reaktions-Muster zu verfallen, wie davonlaufen, attackieren oder blockiert sein.

Eine verwandte Haltung ist der Gleichmut – die Fähigkeit, allen Situationen und Erfahrungen des Lebens mit gleichem Mut zu begegnen. Gelassene und gleichmütige Menschen stehen der Welt ausgeglichen gegenüber und machen sich frei von unrealistischen Erwartungen und Befürchtungen. Wirkliche Gelassenheit ist eine aktive Haltung, letztlich die verwirklichte Fähigkeit des Loslassens und unterscheidet sich damit deutlich von Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit oder Fatalismus.

Gelassenheit ist eine anmutige  Form des  Selbst-Bewusstseins."

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Gelassenheit - angeboren oder gelernt?

In der Literatur wird Gelassenheit vielfach als eine „Haltung“ beschrieben. Damit wäre sie ein Produkt unserer Sozialisation und Lebenserfahrung – und von daher gelernt. Andere sprechen im Zusammenhang mit Gelassenheit von einer „Eigenschaft“, was hieße, dass hier ein größerer Anteil an Angelegtem wirkt. Damit wäre die Lernfähigkeit begrenzt. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass wohl beides zusammenwirkt. Manche Zeitgenossen haben eine natürliche Gabe der Besonnenheit ins Leben mitbekommen, andere müssen sich diese Kompetenz hart erarbeiten.

Wege zur Gelassenheit

Um zu mehr Gelassenheit zu gelangen, geht es mehr ums „Lassen“ und weniger ums „Tun“. Mich einlassen auf das Leben in seiner Fragilität. Loslassen überflüssiger Sorgen. Angelegenheiten auf sich beruhen lassen. Zulassen, dass ich scheitern kann. Ablassen von zu großer Ego-Zentrierung. Freilassen von uns Anvertrauten. Sich verlassen auf Andere und ihre Fähigkeiten. Dysfunktionale Gewohnheiten unterlassen.

Es gibt viele Wege zu einem Mehr an Gelassenheit, aber wie bei allen Reifungswegen braucht es ein hohes Maß an Disziplin, Beharrlichkeit und Übungspraxis. Von daher sollten wir uns nicht blenden lassen von den Heilsversprechen schneller Psychotechniken oder einfacher Patentrezepte.

Annehmen
Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu mehr Gelassenheit ist das Annehmen dessen, was ist. Beim Annehmen geht es um die Akzeptanz der Realität. Die Welt stellt uns immer Bedingungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen (z.b. das Corona Virus, andersartige Menschen, Begrenzungen). Ohne ein inneres Ja zu diesen gegebenen Umständen bleiben wir in reaktiven Verhaltensweisen wie Vermeidung, Aktionismus etc. stecken und können unsere gestalterischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Leben mit den und nicht gegen die Bedingungen lautet daher die Devise!

Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn wir können erst dann etwas annehmen und entspannt(er) agieren, wenn wir uns subjektiv nicht bedroht fühlen und uns sicher sein können, d.h. über genügend innere Festigkeit verfügen. Ich kann zum Beispiel die Andersartigkeit von Kollegen dann gut annehmen und aushalten, wenn ich das Gefühl habe, dass ich trotzdem meine Arbeit gut machen kann und meine Position nicht gefährdet ist.

Sich einlassen
Ein gelassener Mensch hat die Fähigkeit kultiviert, sich auf das Leben in seiner Gänze einzulassen. Indem wir uns einlassen auf das, was auf uns zukommt, kommen wir in Berührung mit Menschen, mit Dingen, mit der Natur. Der Psychotherapeut Alfried Längle beschreibt das so: „Lassen wir uns doch berühren von den Dingen, bewegen von den Sachen, ansprechen von den Menschen und der Welt! Im Berührtsein liegt die Lebendigkeit, darin entspringt die Lebenskraft, ist eine Quelle des Sich-selber-Werdens.“

Es geht aber auch darum, sich auf sich selbst einzulassen und sich so anzunehmen und zu akzeptieren, wie man ist. Mit all seinen Ecken und Kanten. Mit seinen konstruktiven und destruktiven Seiten. Mit seinem Licht und seinem Schatten. Mit all der Widersprüchlichkeit menschlichen Wesens. Diese Selbstannahme und Selbstakzeptanz schenkt uns einen gelassenen Blick auf uns und ist die Basis für die weitere Reifung.

Image

Heiterkeit - ein Weg zu mehr Gelassenheit!

Distanz herstellen
Um gelassener und besonnener mit stark beanspruchenden Situationen umgehen zu können, benötigen wir Fähigkeit zur Selbstdistanzierung. Besonders in Zeiten hoher Belastung ist es wichtig, dass wir inneren und äußeren Abstand zu den Dingen bekommen, um uns nicht in den Ereignissen zu verlieren bzw. vorschnell zu reagieren. Selbstdistanzierung ist der Akt, der innere Räume schafft, um eigene Positionen reflektieren und relativieren zu können. Durch dieses Auf-Abstand-Gehen zu den eigenen Affekten, Impulsen und Gefühlen bekommen wir den Überblick, wie die Situation tatsächlich aussieht, was unser Anteil daran ist und wie wir sie gestaltend verändern können.

Hilfreich ist es, sich Raum und Zeit zu schaffen für ein alltägliches Ritual des Zu-sich-selber-Kommens (Pierre Stutz). Das kann die tägliche Meditation sein, der besinnliche Abendspaziergang oder auch das Führen eines Tagebuchs.

Grenzen annehmen und ziehen
Zur Gelassenheit gehört auch ein erwachsener Umgang mit Grenzen. Die Gratwanderung zwischen „sich-ganz-einlassen“ und „ganz-bei-sich-bleiben“ bleibt eine lebenslange Herausforderung und verlangt den Mut zur Grenzziehung. Es geht darum, seine eigenen Begrenzungen anzumelden und anderen Grenzen zu setzen.

Ein ausgeglichener Mensch kann sich wehren, ohne sich gegen etwas verwehren zu müssen; d.h. ohne sich anderen Perspektiven zu verschließen oder unzugänglich zu zeigen. Das besonnene äußere Nein entspringt immer einem inneren JA für einen bedeutsamen Wert.

Kultivieren positiver Gefühle
Studien zeigen, dass Menschen, die mit einer optimistischen, aufgeschlossenen Haltung ans Leben herangehen, deutlich weniger zu depressiven Verstimmungen neigen und konstruktiv gestaltend in die Welt wirken. Zugleich finden sie leichter das richtige Maß an Sorge um die Zukunft und konzentrieren sich auf präventives Denken und proaktives Handeln, anstatt sich in unnötig, belastende Szenarien zu vertiefen oder den „Kopf in den Sand“ zu stecken.

Auch das Einüben von Mitgefühl, Freundlichkeit und Heiterkeit sowie einer dankbaren Haltung dem Leben gegenüber, führt zu einem gelasseneren Umgang mit anderen Menschen und belastenden Erlebnissen. Durch bewusste Achtsamkeit auf die vielen kleinen positiven Erlebnisse des Alltages können diese in Ressourcen umgewandelt werden, die uns in schwierigen Zeiten zur Verfügung stehen und uns insgesamt zufriedener machen.

Den Geist schulen
Die wohl wirksamste Schulung der Gelassenheit ist die meditative oder kontemplative Praxis. Im gleichmütigen Sitzen in der Stille üben wir das Verweilen im Moment, beruhigen unseren Geist und finden zur inneren Ruhe. Eine Ruhe aus der Kraft und Lust für neues Engagement entstehen kann. Meditieren heißt nicht aus der Welt zu gehen, sondern sich zu sammeln, um mit einem starken, klaren und wachen Geist wieder ans Werk zu gehen. In der Meditation reifen die Samen der inneren Stärke, der Gelassenheit, der Geduld und des Mitgefühls, die als Früchte im täglichen Leben wirksam werden.

Zum Schluss

Leben findet statt, wo ich mich ein-lasse.
In mir fließt die Kraft. In mir schwingt das Fühlen, wenn ich mich öffne der Sache, mich hingebe dem Gespräch, der Musik, der Natur.
Wenn ich mich einlasse, lasse ich die Welt in mich hinein.
Wenn ich mich einlasse, lasse ich mich in die Welt hinein.
Wenn ich mich einlasse, lasse ich mich. Ver-lasse ich mich. Lasse ich mich sein.
Lasse ich mich ein auf einen Ort, in ein Geschehen der Zeit, so schaffe ich die Stelle, wo mich das Leben ergreifen kann, wo ich es selbst zu greifen vermag.
Im Mich-Einlassen bin ich da.

Alfried Längle

Bleiben Sie gelassen!

Gerhard Herb

Artikel teilen:

Quellen:
  • Loslassen. Sylvia Wetzel. In: Spirituell leben. Hrsg. Gabriele Hartlieb. Christoph Quarch. Bernardin Schellenberger. Herder Verlag. 2006

  • Gelassen werden. Hrsg. Rudolf Walter. Herder Verlag. 2003

  • Alfried Längle. Sinnspuren. Dem Leben antworten. NP Buchverlag. 2002

  • Lukas Niederberger. Die Kunst engagierter Gelassenheit. Verlag Kösel. 2011

  • Pierre Stutz. Mediationen zum Gelassenwerden. Herder Verlag. 2001

  • https://www.wertesysteme.de/gelassenheit/

  • https://karrierebibel.de/gelassenheit/

  • https://www.sinnsucher.de/blog/gelassenheit-lernen-10-tipps-wie-du-ruhiger-und-entspannter-wirst

  • https://www.emotion.de/persoenlichkeit/gelassenheit-trainieren

Weitere Artikel

"Wo zwei zusammenstoßen,
siegt der Besonnene.“

Laotse